Einmal wöchentlich, meistens samstags, lasse ich mich beim Berber rasieren. Dieses Erlebnis kann ich jedem Mitteleuropäer wärmstens empfehlen. Die Rasur ist wohltuend und äusserst kostengünstig zu haben. Kunststück bei der Konkurrenz, denn im Umkreis von wenigen hundert Metern im Quartier gibt es eine Vielzahl davon, die einzig darauf warten, an Bart, Schnauz und Haarpracht Hand anzulegen.

So entschloss ich mich an einem jener Samstage, Ali zu berücksichtigen. Alis Geschäft ist im Erdgeschoss des Nachbarhauses einquartiert. Das Lokal ist klein und ein bisschen schmuddelig. Es ist mit dem Nötigsten eingerichtet: grell leuchtendes Licht, zwei Coiffeursessel, zwei Lavabos, zwei Spiegel, ein Gestell mit Coiffeurutensilien, ein paar rote Plastikstühle für wartende Kunden, zwei kleine Beistelltischchen und ein kleiner Wäscheständer mit Frottiertüchern. Alles ein bisschen ungepflegt und in die Jahre gekommen! Was aber ganz bestimmt nicht fehlen darf, ist ein Fernseher.

Ali ist ein 38-jähriger, kräftig gebauter Mann, untersetzt, mit rundem Kopf, schütterem Haarwuchs und 3-Tage-Bart, einem Stiernacken und einem übergrossen Kugelbauch. Sein dadurch ausgeprägtes hohles Kreuz lässt seinen sonst schon massigen Hintern noch mehr in Erscheinung treten. Hauptsächlich junge Männer frequentieren sein Geschäft, und Ali arbeitet oft bis spät in die Nacht hinein.

Nun sass ich also da, lehnte mich zurück, und sein mit Schaum gefüllter Pinsel kreiste langsam, zart massierend über mein Gesicht. Flink und behände liess er sein Rasiermesser, sanft und doch mit dem nötigen Druck, über Wangen, Kinn und Hals gleiten. Während der Rasur erzählte er mir, dass er aus Adana stamme, in jungen Jahren kickboxte, dass er in Hamburg Altona und auch in Russland gearbeitet hätte.

Nach der Rasur fragte er mich forsch: «Maske mi? Maske istiyour musun?» Da ich ihn nur halbwegs verstand, zuckte ich mit den Schultern. Ich durchforstete mein Gedächtnis und suchte verzweifelt nach den Worten und deren Bedeutung. Zu spät, schon trug er behutsam eine klebrige, wächserne Masse auf. Ja, meine Damen, keine Gurken und auch keine Tomaten, obwohl es solche in diesem Land im Überfluss gibt. Nein, eine klebrig wächserne Maske.

Geduldig wartete ich rund 20 Minuten, bis sich dieses Zeug auf meinem Gesicht verfestigte, derweil aus dem viel zu laut eingestellten Fernsehgerät Stimmen drangen aus irgendeiner Talkshow, Quiz- oder Musiksendung, denen niemand zuhörte, die einfach dahinplätschern und sich mit dem Lärm des Quartiers vermischten. «Wenn es meinen Augensäcken dient, warum denn nicht», dachte ich und wartete. Danach war meine Haut samtig weich und zart wie ein Babyfüdeli, doch meine Augensäcke sahen aus wie immer.

Nach überstandener Prozedur stand ich auf und fragte ihn in meinem besten Türkisch: «Borcum ne kadar?» Er antwortete: «Zahle, was es dir wert ist, mein Freund», und wieder war ich ganz verdutzt und schaute ihn fragend an. «Zahle, was es dir wert ist», wiederholte er mit Nachdruck. Ich zog ein paar Geldscheine aus meinem Portemonnaie und drückte sie ihm in die Hand. «Teşekkürler, sihhaatler olsun», sagte er, während ich sein Lokal verliess, im Wissen darüber,dass ich natürlich zu viel bezahlt hatte! «So sans, die Türken, listig, gelt!»

N.B.: Von nun an gehe ich zu Ramazan.