Meine Schule befindet sich an einer geschäftigen Ecke im vierten Stock eines Bürohauses, unweit der İsmetpaşa İstasyonu und in unmittelbarer Nähe der Altstadt. Irgendwie fühlt es sich seltsam an, wenn man nach so vielen Jahren wieder zur Schule geht. Lang ist es her, seit ich die Schulbank drückte, doch seit drei Wochen gehe ich Tag für Tag plichtbewusst zum Türkisch- Unterricht.
Türkisch ist eine junge, agglutinierende Sprache, die mit unserem lateinischen Sprachsystem nichts, aber auch gar nichts gemein hat, sieht man einmal von den vielen französischen Lehnwörtern, wie Pantalon, Asansör oder Kuaför, ab. Tagtäglich setze ich mich intensiv mit der türkischen Grammatik auseinander, mit der Anwendung von Ablativ und Lokativ, hänge Suffixe, Possessivpronomen und Präpositionen an, knorze an korrektem Syntax und plage mich mit Fragepartikeln, Verneinungsformen und Konjunktionen herum. Ehrlich gesagt, ich hätte nie gedacht, dass es derart schwierig sein würde. So schwimme ich durch ein Wechselbad der Gefühle. Aha-Effekte, Glücksmomente und totale Frustrationen lösen sich in bunter Reihenfolge ab. Spass macht es aber alleweil, wenn gleich meine Hirnwindungen und Synapsen zwischenzeitlich über Gebühr strapaziert werden. Lesen, wohlverstanden leise, und schreiben kann ich bereits ganz passabel; das Sprechen, na ja, geht eher schlecht als recht. Mein Hörverständnis aber ist miserabel. Allerdings muss ich zu meiner Verteidigung anführen, dass die Türken, so hilfsbereit und freundlich sie sind, in einem unglaublichen Tempo sprechen.
Meines Erachtens gibt es dafür auch eine plausible Erklärung: Da das Prädikat immer ganz am Ende eines Satzes steht, wollen die Türken möglichst schnell wissen, was zu tun oder zu lassen ist. Irgendwie verständlich, oder? Nach den ersten Wochen war ich ausgepresst wie eine Zitrone. Nichts ging mehr. „Gut Ding will Weile haben“, meinte Aygül lakonisch, „setze dich nicht so unter Druck und sei geduldig. Es ist noch nie ein Meister vom Himmel gefallen.“ Aygül hat recht, und ihr wisst, Aygül hat immer recht!
Çise, meine Lehrerin, ist eine junge Türkisch-Studentin, die hauptberuflich ihre Masterarbeit über türkische Legenden schreibt. Sie ist freundlich, zuvorkommend und bemüht, uns die türkische Sprache näherzubringen. Ich bewundere ihre Engelsgeduld, habe aber zugleich Mitleid mit ihr.
Es ist wahrlich kein Schleck, wenn man den Ausländern eine derart schwierige Sprache vermitteln muss. Immer und ewig die gleichen kleinen Sätze – und stotternd antwortende Schüler, die die Wörter zu allem Elend komplett falsch betonen. Nicht, dass ich’s besser könnte, aber wenn meine Mitschüler sprechen oder laut lesen, dann bekunde ich grösste Mühe, sie zu verstehen. Çise wohl auch. Wahrscheinlich versteht sie unser Kauderwelsch nur, weil das Schulbuch vor ihr liegt. Na ja, die Buchstabenfolge in gewissen Wörtern ist teilweise bereits eine Herausforderung, und sie noch fliessend zu lesen, scheint schier unmöglich zu sein.
Çekoslovakyalılaştıramadıklarımızdan mısınız? Versteht ihr, was ich meine? Genau, aller Anfang ist schwer.
Nach diesen kräfteraubenden Wochen war ich froh, dass der Kurban Bayramı, das Opferfest, nahte und ich vier Tage schulfrei hatte. Ich freute mich auf Aygüls Besuch sowie auf erholsame und unbeschwerte Tage in trauter Zweisamkeit in Çiralı am Meer. Çiralı diye küçük ve güzel bir yer var cennet gibi, was übersetzt heisst: Ein kleiner, hübscher Ort namens Çiralı, ein Paradies mit kleinen Schönheitsfehlern.