Fadime ist eine kleine und liebenswürdige Frau. Sie ist ein Jahr jünger als ich, sieht aber rund 10 Jahre älter aus und – Allah sei ihr gnädig – ist geizig was das Zeug hält. In meinen Vorstellungen wähnte ich mich schon an einer reich gedeckten Tafel mit einer Vielzahl an leckeren Mezeler, also Vorspeisen, schmackhaft gekochtem Gemüse, bunten Salaten sowie würzigem, gut gegrilltem Fleisch, getreu der allseits bekannten türkischen Esstradition. Aber hoppla: Bei Fadime gibt es nur Frühstück, und das ist eher frugal denn üppig. Vielleicht eine halbe Tomate, ein kleines Gürkchen oder etwas grüne Pfefferschote, ein Stückchen Fetakäse, drei oder vier Oliven, hin und wieder ein gekochtes Ei und eventuell ein Viertel einer Birne oder ein Drittel einer kleinen Banane. So gegen Ende der Woche sind dann die frischen Lebensmittel leider nicht mehr so frisch. Chelsea, meine Mitbewohnerin, beklagt sich bei mir bitter über deren Zustand und das in die Tage gekommene Brot. Ehrlich gesagt, mir ist dies auch unverständlich. Ein Laib Brot kostet nur 80 Kuruş, also ca. 30 Rappen, und ist an jeder Ecke im Quartier zu haben.
Immer mittwochs und sonntags ist Markttag in unserem Quartier. Die vielen zielstrebigen Leute und der zähflüssige Verkehr durch die mit wild parkierten Fahrzeugen verstopften Strassen sind untrügliche Zeichen dafür. Aber auch die Teestuben sowie die vielen kleinen Restaurants sind an jenen Tagen überfüllt mit durstigen, hungrigen oder auch müden Marktbesuchern.
An den Markttagen strömen die Bauern und Händler frühmorgens in die Markthalle, die sich ganz am Anfang unserer Strasse befindet, bauen ihre Stände auf, um ihre Waren und landwirtschaftlichen Produkte zu präsentieren. Betritt man die Markthalle, glaubt man, im Reich der Sinne zu sein. Welch eine Pracht, welch Augenweide! Der Anblick ist überwältigend, die Farben von unglaublicher Intensität und der Lärm enorm. Stand an Stand findet man saftige, schön aufgetürmte Früchte, taufrisches Gemüse, süssen Wabenhonig, fangfrischen Fisch, leckere Knoblauchwürste, Käse und weitere Milchprodukte, Säcke prall gefüllt mit Nüssen aller Art, Küchenutensilien und vieles mehr. Es herrscht ein emsiges, geschäftiges Treiben. Es wird gefeilscht, Preise werden lauthals in die Menge geschrien, und die Stimmen der Kunden und Händler vermengen sich mit den Gerüchen der orientalischen Gewürze, den Fisch- und Döner- Ständen. Einmal pro Woche, kurz bevor der Markt schliesst, wenn die Marktfahrer die Preise senken, um ihre letzten, bereits zerlesenen Produkte zu verhökern, macht sich Fadime auf den Weg zum Markt und kauft ein. Wir bekommen dann die billig eingekauften Esswaren zum Frühstück vorgesetzt, und Chelsea kann sich darüber wieder aufregen.
In der Tat, das Dargebotene steht in keinem Verhältnis zu dem, was ich monatlich an Kost und Logis entrichte. So widerfährt mir das gleiche Schicksal wie vielen anderen Schweizer Sprachstudenten im Ausland.
Aber was soll’s, man lebt ja nur einmal.