Chelsea, meine Mitbewohnerin, ist 23 Jahre jung, Engländerin respektive „Londonerin“, um ganz präzise zu sein, die kürzlich ihren Studienabschluss in „Health and Social Work“ erlangt hat.
Warum es sie nach Antalya verschlagen hat und warum sie Türkisch lernt, ist mir bis heute schleierhaft, obwohl ich sie schon mehrmals nach Grund und Motivation gefragt habe. Wie viele junge Frauen ist sie stets mit ihrer Nabelschnur, einem gelben iPhone 5C und den Kopfhörern, unterwegs und mit der grossen weiten Welt verbunden. Nein, kontaktscheu kann man sie nicht nennen, und trotzdem ist sie oft allein! Auch sie ist Sprachschülerin an der Sprachschule Babil, allerdings eine oder gar zwei Stufen höher als ich. Dummerweise ist sie allein in ihrer Klasse und wird deshalb, sehr zu ihrem Missfallen, nur unregelmässig unterrichtet. Sie hält sich oft in ihrem Zimmer auf, schaut fern oder spricht via „WhatsApp“ mit ihren unzähligen Freundinnen.
Chelsea ist von gedrungener, untersetzter Statur, also gut zwei Köpfe kleiner als ich. Sie hat kurze Beine, etwas breite Hüften und ist mit einer wahrhaft üppigen Brust gesegnet. Ihre blonden langen Haare trägt sie mal offen, mal hochgesteckt. Als mein Blick einmal auf ihrem Busen ruhte, also bitte schön, das auch nur anfänglich und ganz verstohlen, versteht sich, wurde ich unmittelbar an Montserrat Caballé, ja genau, diese spanische Opernsängerin mit der voluminösen Stimme, erinnert. Nicht so Chelsea! Ihre Stimme ist eher als dünn oder mager zu bezeichnen, und zu allem Elend spricht sie sehr, sehr leise. Wenn immer ich sie verstehen will, muss ich mich bücken!
Nicht von ungefähr stört sich Chelsea an der männerdominierten türkischen Gesellschaft und verlässt deshalb nur selten die Wohnung. Da sie schon länger bei Fadime wohnt, darf sie deren Küche benutzen. Der Einfachheit halber kocht sie sich dann meistens eine Art türkische Pasta, die sie sich mit einer gehörigen Portion Mayonnaise einverleibt. Dies in einem Land, wo Milch und Honig fliesst, die Tomaten reif und saftig und das Gemüse taufrisch sind. Kaum zu glauben, aber wahr!
Die Küche wird nach Chelsea’s „Geköch“ oft nur mangelhaft geputzt, was Fadime zum Anlass nimmt, sich bei mir über meine Mitbewohnerin zu beschweren. Chelsea dağinik – Chelsea ist unordentlich, meint sie – und glaubt mir: Sie hat recht! Chelsea’s Zimmer sieht meist aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen!
Wenn immer Chelsea eine anständige Mahlzeit zu sich nehmen möchte, klopft sie an meine Tür und bittet mich, sie zum Çorbacı, also in die Suppenküche, zu begleiten. So geschieht es, dass wir gemeinsam durch das Quartier schlendern, als ungleiches Paar wie Don Quixote und Sancho Panza – sie fröhlich und munter daherquasselnd und ich in leicht gebückter Haltung zuhörend, wobei ich nie weiss, ob sie sich gerade mit mir oder mit einer ihrer zahlreichen Freundinnen unterhält.